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Das Institutionelle Abkommen zwischen der Schweiz und der EU: Wie denkt die Bevölkerung?
LINK • 10. Juni 2021

In seiner Sitzung vom 26. Mai hat der Bundesrat entschieden, das institutionelle Abkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union nicht abzuschliessen, womit die Verhandlungen über den Entwurf des Abkommens beendet sind. Das Thema wurde im Vorfeld stark gesellschaftlich und medial diskutiert. Direkt im Nachgang hat LINK vom 27. Mai – 02. Juni 2021 die Schweizer Bevölkerung dazu befragt, wie sie diesen Entscheid bewertet.
Mit 49.3 % befürwortet nur knapp die Hälfte der Bevölkerung den Entscheid des Bundesrates, das Abkommen abzulehnen. Insbesondere Männer stehen dem Entscheid positiv gegenüber: 54.9 % von ihnen finden den Abbruch der Verhandlungen gut, während es bei Frauen lediglich 43.7 % sind. Regional lässt sich sagen, dass der Anteil derer, die den Entscheid des Bundesrats befürworten in der Westschweiz mit 40.0 % am geringsten ist. Jedoch liegt der Anteil derjenigen, die keine Antwort geben konnten, mit rund 23 % in der Westschweiz und im Tessin bei knapp unter einem Viertel der gesamten jeweiligen Region und ist damit sehr hoch.
Mit höherer Bildung und höherem Einkommen ist die Bevölkerung zudem kritischer gegenüber dem Abbruch der Verhandlungen. Nicht überraschend ist, dass Leute, die sich selbst auf dem politischen Spektrum eher rechts einordnen, dem Abbruch stark zustimmen, während auf der linken Seite die Tendenz zwar nicht so stark ist, eine knappe Mehrheit jedoch nicht zufrieden ist mit dem Abbruch der Verhandlungen.
Verunsicherung in der Bevölkerung
Wenn am kommenden Sonntag eine Volksabstimmung zum Institutionellen Abkommen mit der EU stattfinden würde, wüssten 20.5 % der Befragten nicht, wie sie abstimmen würden, und mit 27.0 % ist die Mehrheit davon eher jung (18 – 29 Jahre). Dies verdeutlicht eine grosse Unsicherheit in der Bevölkerung. Ansonsten zeigt sich ein relativ ähnliches Bild wie bei der vorherigen Frage, jedoch spricht sich keine klare Mehrheit dafür oder dagegen aus.
Verständnis des Sachverhalts schwierig
Diese Unsicherheit spiegelt sich auch in der Frage danach wider, ob es den Befragten leicht oder schwer fällt, das Abkommen mit der EU zu verstehen. Mit 62.9 % fällt es einer klaren Mehrheit der Bevölkerung schwer, den Sachverhalt zu verstehen. Zudem zeigen sich starke regionale Unterschiede – in der Deutschschweiz ist das Verständnis um einiges höher als in der Westschweiz und im Tessin. Selbst Leuten mit hoher Schulbildung fällt es grösstenteils schwer, zu verstehen, worum es bei dem Abkommen geht (57.5 %).
Auffallend ist, dass, obwohl rechts- und linkspolitisch (53.8 % bzw. 66.8 %) eine Mehrheit angibt, Verständnisschwierigkeiten zu haben, beide Lager eine klare Meinung vertreten (siehe Fragen 1 und 2). Sich selbst auf der politisch rechten Seite einordnende Befragte geben beispielsweise vorwiegend an, das Abkommen bei einer Abstimmung abzulehnen (71.6 %, Frage 2), gleichzeitig versteht die Hälfte von ihnen nicht, worum es dabei geht. Ein weniger stark ausgeprägtes, aber ähnliches Bild zeigt sich auf der linken Seite mit der potenziellen Annahme des Abkommens (41.2 %, Frage 2).
Lohnschutz sowie Untergrabung der direkten Demokratie und Föderalismus als Problempunkte
Die Befragten wurden auch nach ihrer Einstellung zu verschiedenen Argumenten für oder gegen das Abkommen befragt. Hier zeigt sich wiederum, dass diejenigen Argumente, welche das Abkommen unterstützen, jeweils eher bis stark befürwortet werden. Beispielsweise sind 75.6 % der Befragten der Meinung, dass das Institutionelle Abkommen mit der EU Schweizer Hochschulen auch weiterhin erlaubt, bei internationalen Forschungsprogrammen eine führende Position einzunehmen, und 65.5 % sind der Meinung, dass das Abkommen den reibungslosen Informationsaustausch im Bereich Sicherheit und die gemeinsame Bekämpfung von Terrorismus ermöglicht. Die generelle Zustimmung liegt bei den Pro-Argumenten durchweg höher als bei den Kontra-Argumenten – obwohl der Teil der Bevölkerung, welcher das Abkommen ablehnen würde, höher liegt als derjenige, der es annehmen würde (43.0 % vs. 25.8 %, Frage 2).
Die grössten Ängste liegen bei der Aufweichung des Lohnschutzes (53.4 %) und der Untergrabung der direkten Demokratie und des Föderalismus (50.0 %). Beim Argument, dass das Abkommen unnötig sei, da Schweizer Unternehmen ihre Gewinne mehrheitlich im Dollarraum erwirtschaften, herrscht die grösste Ungewissheit (20.6 %).
Bei der Detailansicht des Arguments «Das Rahmenabkommen sorgt für Rechts- und Planungssicherheit für Schweizer Unternehmen» fällt auf, dass Deutschschweizer/innen, die sonst eher gegen das Abkommen votieren (siehe Fragen 1 und 2), hier zu 62.3 % zustimmen. Auch Männer, die dem Abkommen sonst eher kritisch gegenüberstehen, stimmen diesem Argument zu 61.2 % zu. Erwartungsgemäss wird die Aussage von Leuten, die auf dem politischen Spektrum rechts stehen, mehrheitlich abgelehnt, während sie von Mitte und Links Zustimmung erhält.
Beim Argument «Ein Rahmenabkommen erlaubt Schweizer Hochschulen auch weiterhin, bei internationalen Forschungsprogrammen eine führende Position einzunehmen» sind sich die Befragten grösstenteils einig. Alle Teile des politischen Spektrums stimmen zu – am wenigsten diejenigen Leute, welche sich eher rechts einordnen, doch auch hier beträgt die Zustimmung noch 62.9 %. Bei der gesicherten Reisefreiheit innerhalb Europas und der Vernetzung der Jugend ist ebenfalls eine mehrheitliche Zustimmung feststellbar, jedoch weniger stark ausgeprägt.
Die grössten Ängste zeigen sich bei der Aussage «Der Lohnschutz wird mit dem Rahmenabkommen aufgeweicht». Unabhängig von der Region ist jeweils die Zustimmung überwiegend, und insbesondere in der Deutschschweiz und im Tessin scheint dieser Aspekt ein wichtiges Thema zu sein. Auch Männer stimmen diesem Argument gegen das Abkommen mit der EU mit 59.9 % deutlich zu – bei Frauen ist dieser Wert mit 46.9 % etwas geringer. Auch politisch wird in allen Lagern eher zugestimmt. Interessanterweise ist hier die Zustimmung auf der linken Seite des politischen Spektrums mit rund 49.1 % kleiner als auf der rechten Seite mit rund 63.1 %.
Beim Argument «Das EU-Rahmenabkommen zwingt der Schweiz EU-Recht auf und untergräbt die direkte Demokratie und den Föderalismus» zeigt sich eine stärkere Zustimmung bei Männern (55.4 %) als bei Frauen (44.6 %). Der Anteil der Personen, die sich dazu keine Meinung bilden können («Weiss nicht»), ist bei Frauen zudem höher (17.1 %) als bei Männern (7.9 %). Es herrscht also grösserer Aufklärungsbedarf auf dieser Seite. Interessant ist, dass der Anteil an «Weiss nicht» bei Männern gering ist, obwohl bei Frage 3 nach dem Verständnis des Sachverhalts 57.3 % der Männer (und 68.6 % der Frauen) angegeben haben, das Abkommen mit der EU schwer zu verstehen.
In der Deutschschweiz und im Tessin ist die Zustimmung vergleichsweise am stärksten ausgeprägt. Der Anteil der Leute, die die Aussage nicht beurteilen können, liegt zudem in der Westschweiz mit 23.0 % besonders hoch.
Das Argument «Durch ein Rahmenabkommen wird die Zuwanderung stark zunehmen und zu einer Senkung des Rentenniveaus führen» erhält keine besonders starke Zustimmung oder Ablehnung, ist aber wie zu erwarten stark von der politisch rechts orientierten Seite getrieben (rund 59 % Zustimmung). Potenzial für die Wahlaktivierung besteht unter anderem hier im Tessin und in der Westschweiz (Anteil «Weiss nicht» bei 21.4 % bzw. 22.6 %).
Überraschend ist, dass 18.5 % der politisch rechts orientierten Personen der Aussage «Das Rahmenabkommen ist unnötig, da Schweizer Unternehmen ihre Gewinne mehrheitlich im Dollarraum erwirtschaften» zustimmen. Mit 20.6 % ist der Anteil der Gesamtbevölkerung, die hier keine Einschätzung liefern kann, jedoch ebenfalls hoch.
Berufliche oder private Betroffenheit durch das Abkommen
Schliesslich wurde auch nach der beruflichen oder privaten Betroffenheit eines allfälligen Abkommens mit der EU gefragt. Männer (26.8 %) fühlen sich hier stärker betroffen als Frauen (19.4 %), ein klarer Alterstrend ist hingegen nicht erkennbar. Die älteste Altersgruppe der 60- bis 79-Jährigen fühlt sich zwar als am wenigsten betroffen, hat jedoch gleichzeitig starke Tendenzen gegen das Abkommen (siehe Fragen 1 und 2). Politisch sehen sich sowohl rechts als auch links angesiedelte Personen als nicht betroffen, und von der Gesamtbevölkerung sind dies 62.6 %. Eventuell liegt in dieser wahrgenommenen fehlenden Betroffenheit ein Grund, weshalb eine hohe Unklarheit über das Institutionelle Abkommen mit der EU herrscht.
Die Studie im Überblick
Methode: Online-Befragung über das LINK Panel
Grundgesamtheit: In der Schweiz wohnhafte wahlberechtigte Personen im Alter von 18 – 79 Jahren, die mindestens einmal wöchentlich zu privaten Zwecken im Internet sind. Die Stichprobe wurde nach Region, Alter und Geschlecht repräsentativ quotiert und gewichtet (gemäss aktueller BfS-Bevölkerungsstatistiken).
Studienzeitraum: 27. Mai – 02. Juni 2021
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