Produkt News • LINK Qualitative
Ethnographische Methoden in der qualitativen Forschung
LINK • 16. April 2020

Die qualitative Markt- und Sozialforschung fokussiert sich heutzutage auf Gedanken, Gefühle und Erfahrungen des Individuums. Dies sind wichtige Indikatoren für das menschliche Verhalten. Um exakt zu verstehen, weshalb Menschen tun, was sie tun, sind aber Kontext und Beobachtungen des Verhaltens mindestens genauso wichtig wie verbalisierte Einstellungen der Person. Denn von einer bewussten Intention kann nicht automatisch auf das (manchmal unbewusste) Verhalten geschlossen werden. In der Psychologie spricht man dabei von der Intentions-Verhaltens-Lücke.
Um menschliche Verhaltensweisen besser zu verstehen, bedient sich die qualitative Forschung ethnographischer Methoden. Bereits im 16. Jahrhundert verbrachten Forscher der Anthropologie, Ethnologie und Kulturwissenschaft mitunter Monate und Jahre mit einer Personengruppe, um deren Kultur und Verhalten wissenschaftlich zu erforschen. Auch wenn im heutigen Arbeitsalltag weniger Zeit für eine Studie zur Verfügung steht, ist der ethnographische Ansatz für die qualitative Forschung von grosser Bedeutung. Personen werden in ihrer natürlichen Umgebung und während ihres unmittelbaren Verhaltens beobachtet, um dieses nachvollziehen und erklären zu können.
«Der Aufwand lohnt sich. Diese Methoden holen nicht nur die Meinung ab, sondern erheben auch das Verhalten und den Kontext der befragten Personen. Und das ist genau das, was unsere Kunden brauchen.»
Michèle Hediger, Projektleiterin und Verhaltensforscherin bei LINK Qualitative
Um den Mensch in seiner Gesamtheit zu verstehen und ihn umfassend wahrnehmen zu können, stehen unterschiedliche ethnographisch basierte Methoden zur Verfügung. Beispiele hierfür sind: Shop-Alongs, Videos von Teilnehmenden eines Blogs, In-Home Interviews etc. Bei Shop-Alongs werden Personen live bei einem Einkauf begleitet und neben deren Gedanken auch das Verhalten erfasst. Videos von Teilnehmenden eines Blogs zeigen die Person live in ihrer natürlichen Umgebung. Selbst wenn Personen Videos zuschneiden und auswählen können, wird hier ein umfassenderer Eindruck des Kontextes der Person gewonnen als im Studio. In-Home Interviews sind eine gute Variante, um einen tieferen Einblick in die Umgebung und den Kontext der befragten Person zu erhalten. Dabei wird das Interview direkt bei dem Probanden zu Hause durchgeführt. Die Person hat somit die Möglichkeit spontan etwas hervorzuholen oder zu zeigen, wenn sich die Gelegenheit während des Gesprächs ergibt. Das persönliche, intime Setting schafft zudem beste Voraussetzungen für eine freie Meinungsäusserung. Ein weiterer Vorteil der Shop-Alongs und In-Home Interviews zeigt sich in der Gesprächsführung, bei der im Interview sehr spontan und flexibel auf plötzlich auftauchende Gegebenheiten eingegangen werden kann.
Ein Praxisbeispiel:
Anfang des Jahres führte die LINK eine Studie für die SBB durch. Um die Kundenzufriedenheit zu erhöhen und mögliche Neukunden für das Gastro-Angebot im Zug zu gewinnen, wurde das Konzept der „Train Bar“ getestet. Dabei handelte es sich lediglich um einen Prototyp: Ein Bistro-Wagen wurde in eine Bar umgebaut und umdekoriert. Neu standen Cocktails auf der Getränkekarte, ein echter Barkeeper in schicker Uniform bediente die Gäste und Musik wurde im Hintergrund gespielt. Um zu sehen, wie dieses Konzept sowohl bei Besuchern als auch bei Nicht-Besuchern der Bar ankommt, wurde die LINK Qualitative beauftragt, eine Marktforschungsstudie im betreffenden Zug durchzuführen. Neben den Kurzinterviews mit den Fahrgästen wurden aber auch die Beobachtungen innerhalb und ausserhalb der Bar festgehalten.
Wären nur die Interviews in die Auswertung eingeflossen, hätte sich das Bild ergeben, dass die meisten Personen die Idee einer Bar im Zug spannend finden und den Besuchern auch die Umsetzung sehr gut gefällt. Das beobachtete Verhalten wies jedoch in eine andere Richtung: Die Beobachtungen zeigten, dass Personen, die sich in der Bar befanden, kaum Cocktails konsumierten und grösstenteils per Zufall dort gelandet sind. Aufgrund dieser Verhaltensbeobachtungen und weiterer darauf basierender Fragen kam schlussendlich folgendes Resultat zustande: Bar-Momente und Zug-Momente unterscheiden sich signifikant. In einer Bar möchte man unbegrenzt Zeit mit Freunden verbringen, rauchen dürfen und Party machen. In einem Zug möchte man sich entspannen, möglicherweise ein Feierabendbier geniessen, den Tag ausklingen lassen und ankommen. Diese sich diametral unterscheidenden Bedürfnisse manifestierten sich im Verhalten der Personen in der Bar: Viele tranken ein Bier als Feierabendausklang, versuchten in Ruhe zu entspannen und sich die Zeit bis zur Ankunft zu vertreiben.
Dieses Beispiel verdeutlicht sehr gut, wie wichtig es ist, sowohl Meinungen als auch Verhalten im jeweiligen Kontext zu erheben, um ein umfassendes Bild der Situation zu erhalten. Diese Beobachtungen und Interviews können insgesamt zeit- und somit auch kostenintensiver sein als normale Interviews oder Gruppendiskussionen. Zudem braucht es gut ausgebildete Forscherinnen und Forscher, um wichtige Beobachtungen festzuhalten und eine gute Balance zwischen Gesprächssteuerung und Nicht-Beeinflussung aufrechtzuerhalten. Gerne begleiten Sie die LINK Expertinnen und Experten bei Ihrem nächsten Projekt.
Das könnte Sie auch interessieren: