Welche Rolle spielen Kundenbefragungen in Zeiten von Web Analytics, wenn doch zahlreiche Daten und Analysen zum Kundenverhalten in Echtzeit verfügbar sind? Wozu noch segmentieren, wenn KPI’s aus dem Digital Marketing scheinbar schon alles aussagen…
Der Beitrag «Sind Daten allmächtig?» aus dem Magazin MK Marketing & Kommunikation vom 8.9.2020 gibt eine aktuelle Einschätzung aus Sicht der Unternehmenspraxis. Stefan Reiser, Geschäftsleitungsmitglied im LINK Institut, nimmt im zugehörigen Interview zu diesem Thema Stellung.
«Wer den Kunden verstehen will, braucht eine Gesamtanalyse»
- Stefan Reiser
Laufen AnalyticsTools der klassischen Marktforschung den Rang ab?
Stefan Reiser: Web-Analytics-Tools liefern ein Datenparadies in der digitalen Welt. Wie kommen Kunden auf die Unternehmenswebsite? Was suchen sie? Welche Produkte sehen sie an, was kaufen sie? – das und noch weit mehr ist auf Abfrage verfügbar. Auf dieser Basis lassen sich mittels KI gute CrossSelling- und Kaufprognosemodelle erstellen.
Schwierig wird es aber bei Fragestellungen, die Neuprodukte, Nichtkunden, Offline-Kanäle oder was das Warum des Kundenverhaltens betreffen: Hier kann und muss Marktforschung auch in Zukunft Insights für bessere Entscheidungen liefern.
Welche Methoden liegen im Trend, um die Motive der Konsumenten zu erkennen?
Es gibt drei wesentliche Trendrichtungen, die sich gegenseitig nicht ausschliessen. Erstens Methoden, die es ermöglichen, neben den bewussten auch unbewusste Einstellungen und Verhaltensmuster zu entschlüsseln. Dazu zählen Studien mit impliziten Tests oder Techniken der Neuromarktforschung. Zweitens gibt es Touchpoint-basierte Verfahren, die von den verschiedenen Kontaktpunkten zwischen Kunde und Unternehmen ausgehen. Beispiele sind Customer-Journey-Analysen, die wiederum häufig mit Personen verknüpft werden. Drittens die agile Marktforschung, die ihren Schwerpunkt auf Schnelligkeit und Flexibilität legt und häufig an interne Entwicklungszyklen angepasst ist.
Welcher Ansatz wird künftig die Oberhand gewinnen?
Es wird eine Koexistenz der verschiedenen Disziplinen zur Kundenanalyse geben: Web Analytics und Data Science werden in der Unternehmenspraxis weiter an Bedeutung gewinnen. Sie haben aber natürliche Schwächen, die durch Marktforschung ausgeglichen werden müssen. Es braucht zukünftig auch eine bessere Integration, sowie eine Gesamtanalyse aller verfügbaren Daten. Umso wichtiger ist es, dass wir mit dem Verband Swiss Insights eine Interessenvertretung aller Unternehmen haben, die Daten im Rahmen von Marketingprozessen erheben und analysieren.