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«Normalität» nach COVID-19 – Was die Schweiz aus der Krise gelernt hat
LINK • 23. Juni 2020

- Erneuter Lockdown hätte erhebliche negative Folgen für die Schweizer Wirtschaft
- Behörden müssen Überzeugungsarbeit leisten, um zur Nutzung einer Tracing-App zu motivieren
- Bevölkerung ist zufrieden mit Massnahmen am Wohnort, aber es gibt noch erhebliche Wissenslücken
- COVID-19 als grosse Chance für die Digitalisierung aber nicht alle Trends können profitieren
Bedrohung für die Schweiz auf tiefstem Stand seit Mitte März
Die gefühlte Bedrohung durch das Virus für die Schweiz und für die Befragten persönlich hat ein vergleichbares Niveau wie Mitte März erreicht. 28 Prozent der Befragten halten das Virus für eine sehr hohe bis hohe Bedrohung für das eigene Land – Ende März waren es noch drei Viertel der Befragten. Persönlich fühlten sich Ende März 30 Prozent der Befragten durch das Virus bedroht – aktuell sind es nur noch 13 Prozent. Einzig die weltweite Bedrohung durch das Virus wird weiterhin von über 60 Prozent der Befragten als sehr hoch bis hoch eingestuft: Im Vergleich zur Vorwelle Anfang Juni entspricht das einer Steigerung von 4 Prozentpunkten.

Die Mehrheit geht davon aus, dass COVID-19 nicht vor 2021 eingedämmt sein wird
Mittlerweile gehen 57 Prozent der Befragten davon aus, dass es noch mehr als 6 Monate dauern wird, bis das Virus eingedämmt werden kann. Weiterhin nehmen 7 Prozent an, dass das Virus innerhalb eines Monats eingedämmt sein wird und 36 Prozent (minus 4 Prozentpunkte im Vergleich zu Anfang Juni), dass das Virus in den nächsten 1 bis 6 Monaten eingedämmt wird. Die Mehrheit der Befragten stellt sich daher weiterhin auf eine längere Periode ein, in der das Virus das gesellschaftliche Leben beeinflussen wird. Eine mögliche zweite Infektionswelle könnte diesen Zeitraum noch weiter verlängern.

Grosse wirtschaftliche Gefahr durch erneuten Lockdown bei 2. Infektionswelle
Nur rund 30 Prozent der Befragten geben an, dass ihre Firma auf eine mögliche zweite Infektionswelle organisatorisch sehr gut vorbereitet wäre und die Krise finanziell bisher gut überwunden hätte. Grundsätzlich scheinen die Hilfsmassnahmen des Bundes jedoch zu greifen: Knapp 20 Prozent der Befragten geben an, dass ihre Firma Kurzarbeit beantragt hat. Dennoch gehen 8 Prozent der Befragten davon aus, dass ihre Firma die finanzielle Belastung eines zweiten Lockdowns nicht überstehen würde. Nur 4 Prozent geben an, dass die Firma gestärkt aus der Krise gehen würde, da sie finanziell profitiert hätte.

Überzeugungsarbeit für breite Nutzung der Tracing-App notwendig
Ein wichtiges Instrument, um einer unkontrollierten zweiten Infektionswelle entgegenzuwirken, ist die breite Nutzung einer anonymisierten Tracing-App. Während ein Drittel der Befragten eine solche Applikation ablehnt, ist ein Drittel grundsätzlich bereit, sie zu nutzten. Ein weiteres Drittel ist noch unentschlossen. Vor allem um einen möglichst grossen Anteil der Unentschlossenen zur Nutzung einer solchen Applikation zu motivieren, könnten gezielte Aufklärungskampagnen hilfreich sein. Den direkten persönlichen Nutzen in einer solchen Kampagne in den Mittelpunkt zu stellen, beispielsweise um grössere Menschenansammlungen zu vermeiden, wirkt sich laut der vorliegenden Befragung positiv auf die Bereitschaft aus, eine solche Applikation auch zu nutzten.

Bevölkerung ist zufrieden mit Massnahmen am Wohnort, aber es gibt Wissenslücken
Die sonstigen Voraussetzungen zur Eindämmung des Virus aber auch zur Vermeidung einer unkontrollierten zweiten Infektionswelle sind laut der Befragten gut. Knapp 80 Prozent der Befragten stufen die Versorgung der medizinischen Zentren und die Anzahl Testzentren als gut ein. Rund 70 Prozent der Befragten geben an, dass sie sich an ihrem Wohnort durch die Behörden gut über das Coronavirus informiert fühlen. Ausserdem gebe es ausreichend Einrichtungen, um sich auf COVID-19 testen zu lassen. Ein Drittel der Befragten gibt an, dass sich die Bevölkerung an ihrem Wohnort an das sog. Social Distancing halten würde – Der Anteil, der dieser Aussage widerspricht, ist mit knapp einem Drittel jedoch auch am höchsten. Die Hygienemassnahmen auch während der Zeit der Lockerungen durchzuhalten wird daher nicht leichter werden. Unsicherheit herrscht vor allem bei der Überwachung der Quarantäne und der Verfolgung der Ansteckungskette, die die Befragten nicht beurteilen können. Im Falle einer zweiten Infektionswelle könnte es sich positiv auf das Vertrauen in die Behörden auswirken, wenn die Bevölkerung genauer darüber Bescheid wüsste, ob und wie Ansteckungsketten nachverfolgt werden können und eine behördlich angeordnete Quarantäne überwacht würde.

Erhöhter Nachholbedarf beim Konsum in nächster Zeit eher unwahrscheinlich
Dass sich die Lage noch nicht wieder normalisiert hat, zeigt die weiterhin verhaltene Konsumbereitschaft der Befragten. 70 Prozent geben demnach an, dass ein Anstieg der eigenen Konsumausgaben in nächster Zeit sehr bzw. eher unwahrscheinlich wäre. Ein Nachholeffekt in Bezug auf die Ausgabebereitschaft ist laut der aktuellen Einschätzung daher in naher Zukunft eher nicht zu erwarten.

Erholung für die Tourismusbranche
Dennoch kann die Tourismusbranche eine leichte Erholung von der Krise verzeichnen. Gut die Hälfte der Befragten plant aktuell zu verreisen. Besonders beliebt ist dabei Urlaub im europäischen Ausland (49 Prozent derjenigen, die planen zu verreisen) und in der Schweiz (37 Prozent derjenigen, die planen zu verreisen). Ins aussereuropäische Ausland zieht es hingegen nur 10 Prozent der Befragten, die zuvor angegeben hatten, eine Reise zu planen.

Nicht alle Trends können von der Krise profitieren
Vor allem Trends, die essenziell für ein funktionierendes Geschäftsmodell während der Krise waren, profitieren. Einerseits ermöglicht das kontaktlose Zahlen die Abwicklung von Zahlungsvorgängen im Detailhandel unter Einhaltung der Hygieneregeln. Entsprechend geben 42 Prozent an, häufiger als noch vor der Krise kontaktlos zu zahlen bzw. den Self-Checkout zu nutzen. Andererseits profitiert der Online-Einkauf von Lebensmitteln kaum von der Krise. Nur 4 Prozent geben an, nun häufiger Lebensmittel online zu kaufen. Knapp die Hälfte macht keine Angabe bzw. fühlt sich von dem Angebot nicht betroffen. Lebensmittel sind also nach wie vor ein Vor-Ort-Geschäft. Auch die Nutzung von Lieferservices, PickMeUp-Leistungen oder Drive-In Angeboten, die während der Krise vermehrt angeboten wurden, werden kaum häufiger genutzt als vor der Krise. Hier lässt sich nur mutmassen, dass das Angebot nicht auf den Kundennutzen abgestimmt oder die Bedingungen schlicht nicht attraktiv genug sind.

Die Strassen werden wieder voller – Nach der Krise ist vor der Krise
Auch das Mobilitätsverhalten ist wieder auf einem ähnlichen Stand wie vor der Krise – in Punkto Nachhaltigkeit hat sich die Krise hier jedoch nicht unbedingt als Boost für die Schweiz ausgewirkt. 17 Prozent der Befragten nutzten nun häufiger den PKW auf dem Weg zur Arbeit als noch vor der Krise. Nur 15 Prozent nutzen häufiger das Velo, E-Bikes oder E-Roller. Hingegen geben 40 Prozent der Befragten an, nun seltener den ÖV zu nutzten als noch vor der Krise (nur 4 Prozent geben an, häufiger den ÖV zu nutzen). Auch die Nutzung von Carsharing-Angeboten hat unter der Krise massiv gelitten: Gezielte Kampagnen, die Vorbehalte abbauen was die Ansteckungsgefahr anbelangt, sowie die Vorteile zur Verkehrsentlastung klar aufzeigen, könnten hier Abhilfe schaffen.

Alles in allem zeigt sich, dass sich die Lage noch nicht wieder normalisiert hat und man allenfalls von einer anderen «Normalität» als noch vor der Krise sprechen kann. Vor allem die Gefahr einer möglichen zweiten Infektionswelle, die das Land schnell wieder in einen Ausnahmezustand versetzen könnte, spielt dabei eine wichtige Rolle. Mit allen Mitteln sollte daher versucht werden, die Ausbreitung von COVID-19 weiter einzudämmen und eine unkontrollierte zweite Infektionswelle zu vermeiden, die einen neuerlichen «Lockdown» notwendig machen könnte. Eine wichtige Massnahme hierzu kann die vom Bundesrat in Aussicht gestellte sogenannte «Proximity Tracing-App» spielen. Allerdings ist deren Nutzen stark von der Anzahl der Nutzer abhängig: In den nächsten Wochen und Monaten wird sich zeigen, ob es den Behörden gelingt, Vorbehalte in Bezug auf den Datenschutz abzubauen und die Schweizer Bevölkerung flächendeckend zur Nutzung zu motivieren.
Die Studie im Überblick
Methode: Onlinebefragung (LINK Panel)
Grundgesamtheit: In der Schweiz wohnhafte Personen im Alter von 15-79 Jahren, die repräsentativ für die dortige Bevölkerung sind, mindestens einmal pro Woche zu privaten Zwecken das Internet nutzen und den Fragebogen auf Deutsch, Französisch oder Italienisch ausfüllen können.
Fallzahl:
- Welle 14: 1‘205 Personen
- Welle 13: 1‘200 Personen
- Welle 12: 1‘292 Personen
- Welle 11: 1‘212 Personen
- Welle 10: 1‘274 Personen
- Welle 9: 1‘235 Personen
- Welle 8: 1‘267 Personen
- Welle 7: 1‘241 Personen
- Welle 6: 1‘213 Personen
- Welle 5: 1‘265 Personen
- Welle 4: 1‘297 Personen
- Welle 3: 1‘132 Personen
- Welle 2: 1‘074 Personen
- Welle 1: 1’157 Personen
Gewichtung der Stichprobe:
Geschlecht: Weiblich & männlich
Altersgruppen: 15-29 Jahre, 30-44 Jahre, 45-59 Jahre & 60-79 Jahre
Region: D-CH, W-CH und TI
Haushaltsgrösse: 1-2 Pers. & mehr als 3 Pers.
Erwerbstätigkeit: Voll/ teilweise berufstätig & nicht berufstätig
Befragungszeiträume:
- Welle 14: 10.06.2020 bis 16.06.2020
- Welle 13: 28.05.2020 bis 02.06.2020
- Welle 12: 20.05.2020 bis 27.05.2020
- Welle 11: 13.05.2020 bis 19.05.2020
- Welle 10: 06.05.2020 bis 12.05.2020
- Welle 9: 29.04.2020 bis 05.05.2020
- Welle 8: 21.04.2020 bis 29.04.2020
- Welle 7: 07.04.2020 bis 14.04.2020
- Welle 6: 02.04 2020 bis 07.04.2020
- Welle 5: 25.03.2020 bis 31.03.2020
- Welle 4: 18.03.2020 bis 24.03.2020
- Welle 3: 10.03.2020 bis 12.03.2020
- Welle 2: 03.03.2020 bis 06.03.2020
- Welle 1: 26.02.2020 bis 28.02.2020
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