Studien • Bevölkerungsbefragung
PoliWork: Wie lassen sich Beruf und politische Milizämter vereinbaren?
LINK • 23. November 2021

Das politische Milizsystem der Schweiz beinhaltet die meist nebenberufliche Ausübung öffentlicher Aufgaben. Die Entscheidung, ein solches politisches Milizamt zu besetzen, ist von verschiedenen Faktoren abhängig, und viele der 2’200 Schweizer Gemeinden haben Mühe, ihre Gemeindebehörden mit geeigneten Kandidierenden zu besetzen.
Wie sich die Rolle von Unternehmen als Arbeitgebende gestaltet und welchen Einfluss sie auf das politische Engagement ihrer Mitarbeitenden in Milizämtern haben, wurde nun durch das Forschungsprojekt «PoliWork» des Zentrums für Verwaltungsmanagement an der Fachhochschule Graubünden untersucht. Erstmals wird darin die Vereinbarkeit von Beruf und Milizengagement vertieft beleuchtet. Im Online-Tool «PoliWork – Check für Unternehmen» können Unternehmen und politisch interessierte Mitarbeitende anhand von 24 Fragen ermitteln, wie umfassend das politische Engagement der eigenen Mitarbeitenden gefördert wird und wie der Vergleich mit anderen Unternehmen aussieht. Ausserdem werden in über 50 Praxisbeispielen Hinweise präsentiert, welche Massnahmen besonders erfolgsversprechend sind. Ziel des Forschungsprojektes ist die Ankurbelung neuer Initiativen, welche frische Impulse für die Förderung des politischen und freiwilligen Engagements in Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft liefern.
LINK hat für eines der insgesamt fünf Projektmodule zwischen Februar und Mai 2021 eine repräsentative Onlinebefragung zum Thema «Vereinbarkeit politisches Engagement und Beruf» bei 509 Unternehmen in der Schweiz durchgeführt. Zusätzlich wurden durch die Projektpartner/innen 1’896 Milizpolitiker/innen zwischen 18 und 81 Jahren befragt. Gerne präsentieren wir Ihnen im Anschluss einige Erkenntnisse von «PoliWork».
Miliztätige zufrieden mit Unterstützung, Wunsch nach mehr Förderung
Das aktuelle Milizsystem der Schweiz wird von den Unternehmen getragen und als zukunftsfähig erachtet, wobei es primär in der einzelbetrieblichen Verantwortung liegt, die Vereinbarkeit von Beruf und Milizpolitik zu gewährleisten. Generell sind die Miliztätigen mit den Rahmenbedingungen und der Unterstützung, welche ihre Unternehmen und ihre Arbeitgebenden für das politische Engagement schaffen, zufrieden, und sie sehen in ihrer Tätigkeit einen hohen Nutzen – auch für die Unternehmen selbst. Diese teilen diese Ansicht, wenn auch etwas vermindert (v.a. im Bereich Fachwissen und Imagegewinn). Besonders hoch ist die Zufriedenheit mit der Unterstützung durch die Unternehmen, wenn für diese das Thema politische Miliztätigkeit wichtig ist und eine aktive Förderung des politischen Engagements betrieben wird. Trotzdem fordern die Miliztätigen generell ein stärkeres Engagement der Wirtschaft resp. der Arbeitgebenden bei der Förderung des politischen Milizsystems.
Grosses Rekrutierungspotential, jedoch abhängig von Branche und Berufsgruppe
Öffentliche oder politische Milizämter werden immer mehr tagsüber ausgeführt und erfordern damit eine gewisse Arbeitszeitflexibilität. Ca. 1.4 Mio (ca. 33 %) der Schweizer Erwerbstätigen verfügen über flexible Arbeitszeiten – bei geschätzten 100’000 öffentlichen und politischen Milizämtern und funktionen wäre damit der Bedarf, gemessen am Rekrutierungspotential, um ein Vielfaches abgedeckt. Jedoch bestehen je nach Branche (z. B. unternehmensnahe Dienstleistungen vs. Gastgewerbe) und Berufsgruppe (z. B. wissenschaftliche Berufe vs. Verkäufer/innen) sehr unterschiedliche Voraussetzungen für die Ausführung eines öffentlichen oder politischen Amtes. De facto ist der Zugang zu zeitintensiven politischen Milizämtern für bestimmte Branchen und Berufsgruppen damit eingeschränkt.
Vereinbarkeit von Beruf und Miliztätigkeit als grosse Herausforderung
Es wird deutlich, dass die Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und insbesondere Beruf mit politischem Engagement für Miliztätige eine Herausforderung ist – besonders für Gemeindeexekutiv- und Kantonslegislativmitglieder. Als Gründe werden u. a. der hohe Arbeitsaufwand für Mitglieder der Gemeindeexekutive (auch während der Arbeitszeit), die gesteigerte Anspruchshaltung der Bevölkerung an Fachkenntnisse und zeitliche Verfügbarkeit sowie die zunehmende Verrechtlichung der Politik genannt. Die Studienautoren erachten deshalb in der Praxis enge Absprachen zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitenden sowie mögliche Pensumsreduktionen in der beruflichen Haupttätigkeit als notwendig.
Nur wenige Unternehmen engagieren sich aktiv
Rund 70 % der befragten Unternehmen sehen keinen Bedarf, das politische Milizsystem spezifisch zu fördern. Nur knapp 9 % sehen sich in einer aktiven Förderrolle, und weitere 21 % in einer passiven. Der grösste Teil der Unternehmen (46 %) hat keine Mitarbeitenden, die ein politisches Milizamt ausüben. All dies widerspricht dem Bild eines breit verankerten Milizsystems in der Schweiz. 33 % der Unternehmen stellen eine Person, 14 % zwei personen in der kommunalen oder kantonalen Milizpolitik, und nur 7 % der Unternehmen verfügen über drei oder mehr Miliztätige. Ausserdem handelt es sich bei den Miliztätigen in zwei Drittel der Unternehmen nur um Männer, bei 19 % der Unternehmen nur um Frauen. Die politisch Miliztätigen sind damit sehr ungleich über alle Unternehmen verteilt und konzentrieren sich auf einige wenige. Ausserdem auffallend ist, dass nur gut 20 % der Unternehmen ihre Mitarbeitenden zur Kandidatur für ein politisches Amt ermuntern.
Unternehmen wie auch Miliztätige sehen Handlungsbedarf, jedoch teilweise mit anderen Schwerpunkten
Einige Massnahmen zur Förderung des politischen Engagements stossen sowohl bei Miliztätigen als auch Unternehmen auf grosse Akzeptanz. Einerseits ist dies die Förderung einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung, andererseits die Möglichkeit, die Infrastruktur der Arbeitgebenden für die Miliztätigkeit zu nutzen. Ebenfalls würde eine höhere Wertschätzung der Miliztätigkeit durch die Unternehmensleitung die Ausübung dieser einer solchen attraktiver machen. Unternehmen und Miliztätige bewerten die verschiedenen Massnahmen vereinzelt jedoch auch unterschiedlich, was besonders in Grossunternehmen deutlich wird, wo Miliztätige höhere Ansprüche als ihre Arbeitgebenden haben. Generell erachten die Miliztätigen die Anerkennung ihres Engagements für die berufliche Karriere als zentral, die Unternehmen hingegen weniger.
Weitere Erkenntnisse, den Forschungsbericht in Kurz- sowie Langform und das zugehörige Online-Tool finden Sie auf der Website von «PoliWork».
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