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Ukraine, Sanktionen und weitere Massnahmen: So denkt die Schweiz
LINK • 28. März 2022

Aus aktuellem Anlass hat LINK vom 17. bis 21. März 2022 eine repräsentative Umfrage unter der Schweizer Bevölkerung zum Krieg in der Ukraine durchgeführt. Die Ergebnisse zeichnen ein genaues Bild davon, wie Schweizerinnen und Schweizer die aktuelle Situation einschätzen und was sie über verschiedene Aspekte denken, unter anderem über die Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine oder über mögliche Veränderungen in ihrem eigenen Alltag. Eine Aufstellung der Charts der Studie finden Sie am Ende des Artikels.
Hälfte der Schweizer/innen ist sehr besorgt über den Ukraine-Russland-Konflikt
Drei von vier Schweizer/innen verfolgen die Berichterstattung über den russischen Einmarsch in die Ukraine etwas (41 %) bis sehr intensiv (35 %). Je älter die Generation, desto stärker werden die Nachrichten zum Thema verfolgt – während bei 15-29-Jährigen knapp ein Viertel die Berichterstattung intensiv rezipiert, ist es bei den 60-79-Jährigen über die Hälfte.
Gleichzeitig ist die jüngste befragte Generation am zuversichtlichsten, dass sich der russische Angriff auf die Ukraine kaum oder überhaupt nicht negativ auf ihre persönliche finanzielle Situation auswirken wird (44 %). Die älteren Generationen sind diesbezüglich deutlich weniger optimistisch. Besorgt über die aktuelle Situation zwischen der Ukraine und Russland ist jedoch eine Mehrheit jeder Altersgruppe, die Hälfte der Bevölkerung sogar sehr. Besonders die Möglichkeit, dass Russland Chemie- (85 %) oder Atomwaffen (79 %) einsetzt, ruft bei Schweizer/innen Sorge hervor. Die Möglichkeit eines dritten Weltkriegs beschäftigt 72 % der Befragten. Tatsächlich für wahrscheinlich hält jeweils nur eine Minderheit der Schweizer Bevölkerung die genannten Szenarien – Ausnahme bildet die russische Verwendung von Chemiewaffen, die 65 % für wahrscheinlich halten.
Schweizer Bevölkerung befürwortet Sanktionen gegen Russland und spricht sich für mögliche weitere aus
Dass der russische Einmarsch in die Ukraine zu einem grösseren Krieg führen wird, an dem auch die Schweiz beteiligt sein wird, denkt eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung nicht: 66 % halten ein solches Szenario für nicht sehr oder überhaupt nicht wahrscheinlich.
Derzeit werden durch den Bundesrat verschiedene Sanktionen u.a. gegen Russland umgesetzt. LINK wollte wissen, wie Schweizerinnen und Schweizer diese beurteilen und was sie über mögliche weitere Sanktionen denken. Generell stimmt eine Mehrheit der Bevölkerung den Aktionen des Bundesrates zu und findet, dass die gesprochenen Sanktionen in etwa richtig sind. Lediglich die Einschränkungen bei Visaerleichterungen für Russinnen und Russen befürworten nur 48 % – knapp einem Viertel der Befragten gehen diese zu weit, gleichzeitig gehen sie einem Fünftel nicht weit genug. Die aktuell gesprochenen Gütersanktionen (z.B. Verbote bzgl. militärischer Güter, Güter für die Luft- und Raumfahrt und Güter für die Ölraffination) gehen knapp einem Viertel der Bevölkerung nicht weit genug, bei den Finanzsanktionen (z.B. Sperre von Vermögenswerten und Verbot von Darlehen) sind es gar 27 %.
Viele mögliche weitere Sanktionen gegen Russland werden von der Schweizer Bevölkerung befürwortet. Beispielsweise fänden über die Hälfte von ihnen Exportkontrollen für Hightech-Produkte und Software an Russland richtig, für ein Viertel könnten diese sogar noch weiter gehen. Sehr ähnlich sieht es beispielsweise beim Einfrieren sämtlicher in der Schweiz vorhandenen Vermögenswerte hochrangiger Russen aus. Jedoch spricht sich auch ein Viertel gegen den Entzug der Aufenthaltsgenehmigung für russische Personen, die der russischen Regierung nahestehen und in der Schweiz leben, aus. Ebenfalls unbeliebt wäre eine Aufstockung des Schweizer Verteidigungsetats zur Abschreckung – 40 % sprechen sich dagegen aus. Auffallend ist, dass ältere Generationen den aufgezählten möglichen weiteren Sanktionen mehr zustimmen oder diese sogar als nicht stark genug einstufen, als die jüngste befragte Generation (15-29 Jahre).
Nebst Sanktionen könnte die Schweiz auch verschiedene weitere Massnahmen als Reaktion auf die aktuelle Situation umsetzen. Einen militärischen Eingriff verurteilt eine Mehrheit der Bevölkerung – die Entsendung von Truppen in die Ukraine und die Koordination von Luftangriffen gegen russische Ziele in der Ukraine lehnen 85 % bzw. 77 % eher bzw. voll und ganz ab. Bei der Sendung von Waffen und Hilfsgütern hingegen ist die Bevölkerung gespalten, ebenso bei der Unterstützung innerpolitischer Gegner der russischen Führung. Geht es um die reine Entsendung von Hilfsgütern in die Ukraine, stimmt mit 92 % beinahe die ganze Bevölkerung zu. Ebenfalls mehrheitlich eher bis voll und ganz befürwortet werden weitere Wirtschaftssanktionen gegen russische Interessen in der Schweiz (70 %) sowie der zielgerichtete Einsatz von Medien in russischsprachigen Teilen der Ukraine, um die Bürger dort zu ermutigen, die russische Führung und Streitkräfte nicht zu unterstützen (51 %).
Je jünger die Befragten, desto eher lehnen sie Sanktionen mit Konsequenzen für die Schweiz ab
Die Umfrage ergründet auch, wem Schweizerinnen und Schweizer in der aktuellen Situation ihr Vertrauen für richtige Entscheidungen schenken – und wem nicht. Dem Bundesrat schenken 79 % etwas bis sehr viel Vertrauen, am anderen Ende der Skala steht China, dem 84 % wenig bis überhaupt kein Vertrauen entgegenbringen. Die Europäische Union, die USA, Grossbritannien und Frankreich erhalten durchschnittlich von einer Mehrheit der Schweizer Bevölkerung etwas bis sehr viel Vertrauen. Generell ist aber ein Grossteil zufrieden mit der Schweizer Landesregierung: Der Umgang des Bundesrates mit der Situation zwischen der Ukraine und Russland wird von 70 % der Befragten als eher bis sehr gut beurteilt.
Eine Verschärfung der Sanktionen gegen Russland verbunden mit verschiedenen Konsequenzen für die Schweiz würden tendenziell mehr Bewohner/innen befürworten als ablehnen, eine starke Mehrheit lässt sich jedoch für keine der beiden Seiten erkennen. Lediglich eine Steuererhöhung würde mit 58 % von einer Mehrheit abgelehnt werden. Deutlich ist, dass auch hier wieder ein Generationsgefälle besteht: Je jünger die Befragten sind, umso eher lehnen sie Sanktionen ab, wenn sie mit Konsequenzen für die Schweiz verbunden wären.
Dass Sanktionen gegen Russland konkrete und teilweise unmittelbare Effekte auf den Alltag von vielen Personen, unter anderem Schweizer/innen, haben können, macht sich aktuell für viele wohl am deutlichsten durch steigende Benzin- und Strompreise bemerkbar. Doch wie lange würde die Schweizer Bevölkerung die verschiedenen Konsequenzen im Alltag mittragen? Mehrheitlich mindestens 1-5 Monate, tendenziell eher länger. Steuererhöhungen zur Deckung von Verteidigungskosten würden 44 % gar nicht mittragen – am anderen Ende steht der Verzicht für alle nicht berufsbedingten bzw. unnötigen Flüge mit dem Flugzeug, welche die Hälfte der Bevölkerung sogar länger als ein Jahr unterstützen würde.
Schweizer/innen unterstützen Massnahmen zur Unterstützung ukrainischer Geflüchteten
Ob Schweizerinnen und Schweizer es befürworten würden, wenn auf bestimmte Forderungen Russlands eingegangen würde, um dessen Invasion der Ukraine zu beenden, wurde ebenfalls untersucht. Hier fällt vor allem auf, dass ein teilweise beachtlicher Teil der Bevölkerung nicht weiss, wie er antworten soll, was eventuell auf einen ungenügenden Informationsaufwand hinweist. Generell spricht sich die Bevölkerung eher gegen einen Eintritt auf Russlands Forderungen aus, jedoch wird die Aufhebung der derzeitigen westlichen Wirtschaftssanktionen gegen Russland als mögliches Friedensangebot mit 48 % eher befürwortet als abgelehnt.
Über 3.5 Millionen Menschen wurden bereits zur Flucht gezwungen, in der Schweiz wurden bisher 12’000 Ukrainer/innen registriert (Stand 22. März 2022). Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, zu wissen, wie die Schweizer Bevölkerung verschiedenen Massnahmen zur Unterstützung der geflüchteten Personen aus der Ukraine gegenübersteht. 71 % befürworten ein Schweizer Programm, um einige ukrainische Geflüchtete, die vor der russischen Invasion fliehen mussten, hier anzusiedeln. Von diesen Befürworter/innen würden die meisten (46 %) einige Zehntausend Menschen in die Schweiz aufnehmen. Generell ist eine deutliche Mehrheit (78 %) der Bevölkerung der Meinung, dass die Schweiz eine moralische Verpflichtung hat, aus der Ukraine geflüchteten Personen Asyl zu gewähren. Erneut wird ein Unterschied zwischen den Generationen hier sehr deutlich: Während bei den 15-29-Jährigen 69 % eine solche moralische Verpflichtung sehen, sind es bei den 60-79-Jährigen ganze 84 %.
Schweizer Bevölkerung fordert ein klares Bekenntnis zur Ukraine
Die Neutralität der Schweiz ist ihren Bewohnerinnen und Bewohnern zwar wichtig (56 %), gleichzeitig finden aber auch 65 %, dass die Schweiz sich klar zur Ukraine bekennen und die Sanktionen der EU gegen Russland vollumfänglich umsetzen sollte. Eine aktive Vermittlerrolle der Schweiz erhielte ausserdem bei einer deutlichen Mehrheit der Bevölkerung (82 %) Zuspruch.
Im Rahmen der Befragung wurde auch beleuchtet, wie Schweizerinnen und Schweizer die Bedrohung durch verschiedene Länder/Organisationen für das eigene Land einschätzen. Russland wird aktuell von 17 % der Befragten als eher ernsthafte Bedrohung eingeschätzt, direkt hinter dem Islamischen Staat/ISIS, den 20 % der Befragten als solche wahrnehmen. Von den aufgezählten Ländern/Organisationen werden die USA als am wenigsten bedrohlich eingeschätzt.
Sollte Russland bestimmte Länder angreifen, würden Schweizer/innen militärische Gewalt seitens der Schweiz generell ablehnen – Ausnahmen bildet hier das Nachbarland Lichtenstein, für dessen Unterstützung 55 % der Schweizer Einwohner/innen militärische Gewalt gutheissen würden.
Laden Sie sich die kompletten Charts zur Studie untenstehend direkt herunter. Bei Fragen oder dem Wunsch nach weiteren Ergebnissen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Die Studie im Überblick
Methode: Online-Befragung über das LINK Panel
Grundgesamtheit: 1’206 in der Schweiz wohnhafte Personen im Alter von 15-79 Jahren, die repräsentativ für die dortige Bevölkerung sind, mindestens einmal pro Woche zu privaten Zwecken das Internet nutzen und den Fragebogen auf Deutsch, Französisch oder Italienisch ausfüllen können.
Studienzeitraum: 17. bis 21. März 2022
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