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Wie reist die Schweizer Bevölkerung während einer Pandemie?
LINK • 15. Februar 2021

In Zeiten der Pandemie ist die Bevölkerung angehalten, nach Möglichkeit zuhause zu bleiben und die eigene Mobilität einzuschränken. Unter anderem die am 18. Januar eingeführte Home-Office-Pflicht sowie die Verlängerung der Schliessung von Restaurants, Kultur, Sport- und Freizeitbetrieben zeigen den Ernst der Lage. Spannend ist, ob und wie sich die Krise und die getroffenen Massnahmen auf das tatsächliche Mobilitätsverhalten der Bevölkerung auswirken.
Das Forschungsprojekt MOBIS:COVID-19, eine Initiative der ETH Zürich und der Universität Basel in Kooperation mit LINK, untersucht genau dies anhand von GPS Logging und einer Reisetagebuch-App, welche die Studienteilnehmenden kontinuierlich nutzen. Seit dem 11. November 2020 arbeitet das Projekt auch mit Teilnehmer/-innen des LINK Panels, mit dem Ziel, die Stichprobe kontinuierlich aufzubauen, und konnte damit die Stichprobe vergrössern. Die Studie ist gemäss Aussenvorgaben des BfS gewichtet und damit repräsentativ für die Schweizer Bevölkerung.
Während der ersten Woche im Lockdown vom 16. März 2020 ist ein starker Rückgang der mobilen Teilnehmenden um rund 20 Prozentpunkte im Vergleich zur Vorwoche zu beobachten. Bereits in der zweiten Woche des Lockdowns nimmt der Anteil mobiler Teilnehmender wieder zu und pendelt sich mit den Lockerungen vom 11. Mai 2020 wieder auf einem um rund 5 Prozentpunkte niedrigeren Niveau im Vergleich zu vor der Pandemie ein. Weder die Maskenpflicht im ÖV am 18. Oktober 2020 noch die Verschärfungen zum Home-Office-Umgang im zweiten Lockdown am 18. Januar 2021 gehen mit einem vergleichbar starken Rückgang einher.
Die durchschnittliche Tagesdistanz folgt demselben Muster, allerdings hat sich die Anzahl zurückgelegter Kilometer pro Tag seit Beginn der zweiten Welle im Oktober zwar nur leicht, aber dennoch kontinuierlich verringert. Während sich die zurückgelegte Entfernung pro Person in der ersten Woche nach dem Lockdown im März 2020 von rund 35 auf knapp 20 Kilometer verringert hat, folgte auch hier ein deutlicher Anstieg in Bezug auf den erweiterten Bewegungsradius. Mit der Aussicht auf erneute Einschränkungen des öffentlichen Lebens im Oktober nimmt der Bewegungsradius wieder leicht ab. Eine Verstärkung dieses abnehmenden Trends ist während des zweiten Lockdowns Mitte Januar 2021 nicht zu beobachten. Ein erster Anstieg in KW 6 weist eher auf einen gegenteiligen Trend hin zu einer erneuten Zunahme im Bewegungsradius der Schweizer Bevölkerung hin.
Über alle Verkehrsmittel hinweg zeigt sich, dass der erste Lockdown zu einem starken Einbruch in der Mobilität der Bevölkerung geführt hat und sich dann bis in den Sommer wieder fast auf das Niveau des Referenzzeitraums zwischen September und November 2019 eingependelt hatte. Mit Beginn der zweiten Welle im Herbst geht die Mobiliät wieder kontinuierlich zurück und ist aktuell auf gut 40 %.
Betrachtet man die Veränderung der gefahrenen Kilometer nach Verkehrsmittel differenziert, fällt auf, dass der öffentliche Verkehr (Bus, Zug, Tram) durch den ersten Lockdown mit Abstand am stärksten eingebrochen ist und sich seither kaum erholt hat. Entsprechend sind die zurückgelegten Kilometer mit dem Zug während des ersten Lockdowns im Vergleich zum Referenzzeitraum zwischen September und November 2019 um 95 Prozent zurückgegangen. Mit – 60 % liegen sie noch immer deutlich hinter den Distanzen des Referenzzeitraums.
Der Individualverkehr hingegen verzeichnet vergleichsweise kleinere Einbrüche während des ersten Lockdowns. Nach den ersten Wochen im Lockdown erfährt das Velo sogar einen regelrechten Boom, der Dank der wetterkorrigierten Analyse der Universität Basel nicht nur auf die mildere Witterung, sondern auch als Reaktion auf die Infektionslage interpretiert werden kann.
Die stündliche Reisezahl gibt Aufschluss darüber, wie häufig man während eines Tages unterwegs ist sowie über die Verkehrsspitzen zu bestimmten Tageszeiten, die Verkehrsbehinderungen begünstigen (wie beispielsweise Staus zur sog. Rush Hour). Hier zeigt sich ein positiver Effekt durch die Pandemie, da Verkehrsspitzen während des Referenzzeitraums im Herbst 2019 (Baseline) deutlich ausgeprägter waren. Während der Pandemie konnten diese Spitzen gebrochen werden und die Mobilität verteilt sich gleichmässiger über den Tag. Im Januar nähert sich das Mobilitätsverhalten über den Tag hinweg wieder dem «Normalzustand» vor der Pandemie an.
Schliesslich untersucht die Studie auch die Veränderung der Tagesdistanz basierend auf der Arbeitssituation vor Ort, im Home Office oder einer Mischform.
Hier zeigt sich, dass Personen, die im Home Office tätig sind, ihr Mobilitätsverhalten zwar deutlicher einschränken als Personen, die vor Ort arbeiten. Vor allem im zweiten Lockdown ist der Effekt jedoch nicht so ausgeprägt wie während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020. Es bleibt abzuwarten, ob sich die Tendenz aus der aktuellen Woche bestätigt und die Mobilität von Personen im Home Office weiter zurückgeht.
Grund für den insgesamt verhalteneren Rückgang der Mobilität im Verlauf der Pandemie könnte demnach eine Verschiebung beim Reisezweck sein. Vergleicht man beispielsweise Personen in Kurzarbeit, dann sieht man einen Trend hin zu mehr Mobilität als bei Personen in einem regulären Anstellungsverhältnis. Entsprechend liegt die Vermutung nahe, dass die frei gewordene Zeit für andere Fahrten als zur Arbeit genutzt wird.
Aus diesen Studienergebnissen wird klar, dass die Schweizer Bevölkerung ihr Mobilitätsverhalten insgesamt eingeschränkt hat. Die Bereitschaft einer drastischen Einschränkung wie während des ersten Lockdowns trat im weiteren Verlauf der Pandemie nicht mehr ein.
MOBIS:COVID-19
Das Forschungsprojekt MOBIS:COVID-19, eine Initiative der ETH Zürich und der Universität Basel, untersucht das Mobilitätsverhalten der Schweizer-/innen anhand von GPS Logging und einer Reisetagebuch-App, welche die Studienteilnehmenden kontinuierlich nutzen. Am 16. März 2020 wurden 3700 Teilnehmer, die zwischen September 2019 und Januar 2020 bereits an der MOBIS-Studie teilgenommen haben, eingeladen, die von MotionTag entwickelte Smartphone-App «Catch-My-Day» erneut zu installieren. Die freiwillige Aufzeichnung ihres Mobilitätsverhaltens ermöglichte es, die Auswirkungen der verschiedenen Massnahmen während der Pandemie zu verfolgen. Fast ein Jahr später dauert die Pandemie noch immer an und viele Teilnehmer sind immer noch Teil der Studie. Seit dem 12. November 2020 unterstützt LINK das Projekt als Kooperationspartner mit bisher 393 zusätzlichen Teilnehmenden aus dem LINK Panel.
Alle Studienergebnisse inklusive interaktiver Diagramme finden Sie direkt auf der Website von MOBIS:COVID-19.
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